Helmut Stütz 1941-2024
Ein Leben für und mit den Pferden
Helmut Stütz war ein Mann, dessen Leben tief mit der Welt der Pferde verwoben ist. Geboren 1941 in Baden-Württemberg, genauer gesagt im Ostalbkreis, wuchs er in einer Zeit auf, die durch die Wirren des Zweiten Weltkriegs geprägt war. Schon als Kind kam er mit Pferden in Berührung, da sowohl sein Großvater als auch die Nachbarschaft Pferde zur Arbeit in der Landwirtschaft hielten. Diese frühe Verbindung zu den Tieren sollte sein Leben maßgeblich beeinflussen.
1 Die Wurzeln: Der Großvater als Mentor
Helmuts Großvater war nicht nur ein Landwirt und Gutsbesitzer, sondern ein erfahrener Pferdemensch, der die tiefe Verbindung zwischen Mensch und Pferd verstanden und gelebt hat. Er war es, der Helmut die grundlegenden Werte und Fähigkeiten im Umgang mit Pferden vermittelte. Von ihm lernte Helmut, dass Geduld, Respekt und Einfühlungsvermögen die Basis für eine erfolgreiche Zusammenarbeit mit Pferden sind. Der Großvater, der im ersten Weltkrieg noch Ulan und Haudegen war, brachte ihm bei, die Tiere nicht nur als Arbeitstiere zu sehen, sondern als Partner, deren Bedürfnisse stets zu berücksichtigen sind. Diese Lektionen prägten Helmuts Herangehensweise an Pferde sein Leben lang.
Eine besondere Rolle spielte die Trakehnerzucht, die der Großvater aus Ostpreußen mitbrachte. Mit großer Sorgfalt züchtete er ausschließlich Rappen, eine Tradition, die Helmut in sehr jungen Jahren erbte. Der Anfang seiner eigenen Zucht bestand aus einem Dutzend Pferden, die ihm sein Großvater hinterlassen hatte. Diese Verantwortung prägte ihn früh und legte den Grundstein für seine spätere Karriere als Züchter. Helmut verstand es, die Qualität und Eleganz der Trakehner zu bewahren und zugleich an moderne Anforderungen im Reitsport anzupassen.
Der Großvater erzählte oft Geschichten über die alte Zeit, in der Pferde die Grundlage der Landwirtschaft und des Transports waren. Diese Erzählungen, verbunden mit der praktischen Arbeit auf dem Hof, legten den Grundstein für Helmuts Verständnis und Liebe für Pferde. Er entwickelte schon früh ein Gespür für die Sprache der Pferde und deren Körpersignale, was später zu einer zentralen Eigenschaft in seiner Arbeit wurde.
2 Die Anfänge und die harte Schule
Nach dem Krieg veränderte sich die Welt der Pferde. Viele Menschen hatten durch die Erfahrungen des Krieges das Interesse an Pferden verloren, und nur die Bauern, die sie noch als Arbeitstiere benötigten, hielten an ihnen fest. Helmut erzählt, dass in seiner Jugend ein Nachbar, der Vorsitzende des lokalen Reitvereins war, begann, die Landjugend zu sammeln, um den Reitverein wiederzubeleben. Dieser Nachbar hatte Kontakte zu alten Kavallerie-Ausbildern wie Heuer, Scholl und Böring, die aus Schulen in Ellwangen, Aalen und Schwäbisch Gmünd kamen. Diese Ausbilder reisten mit dem Zug an und unterrichteten die Jugend in strenger, militärisch geprägter Reitkunst.
Helmut beschreibt diese Zeit als eine harte Schule. Der Unterricht war streng und fokussierte sich auf Disziplin und Genauigkeit. Die Pferde wurden mit alten Militärsätteln gesattelt, und es wurde großer Wert auf die Pflege und Vorbereitung gelegt. Reittechnisch lag der Schwerpunkt auf einer soliden Grundausbildung, die jedoch wenig Raum für feines Reiten ließ. Diese Erfahrungen prägten Helmut nachhaltig und weckten in ihm den Wunsch, weiterzukommen und eine höhere Klasse des Reitens zu erreichen.
Die Kavallerie-Ausbilder hatten alle ihre eigenen Methoden, die jedoch durch ihren militärischen Hintergrund stark standardisiert waren. Helmut erinnert sich lebhaft an die alten Geschichten, die die Ausbilder erzählten, und an ihre Hingabe zur Disziplin. Einer dieser Lehrer, der durch eine Kriegsverletzung nur noch eine Hand zur Verfügung hatte, benutzte eine spezielle Vorrichtung, um die Zügel zu halten. Solche Bilder prägten Helmuts Kindheit und formten seinen Respekt vor den Traditionen des Reitsports.
3 Begegnung mit Herbert Aust
Ein Wendepunkt in Helmuts Leben war die Begegnung mit Herbert Aust, einem erfahrenen Reitmeister in Ludwigsburg. Helmut war damals ein talentierter Jugendlicher, und der Vorsitzende seines Vereins meldete ihn zu einer Veranstaltung bei Aust an. Dieser beeindruckte Helmut sofort mit seinem feinen und qualitativ hochwertigen Reitstil. Aust vermittelte nicht nur technische Fähigkeiten, sondern hatte auch eine besondere Gabe, komplexe Zusammenhänge leicht verständlich zu erklären. Einer seiner bekanntesten Schüler, Udo Lange, war bereits ein talentierter junger Reiter, der später mehrfacher deutscher Meister wurde.
Unter der Anleitung von Aust lernte Helmut die Bedeutung von Losgelassenheit und ehrlicher Anlehnung kennen. Er entwickelte ein tiefes Verständnis für die Psychologie der Pferde und die Bedeutung von Biomechanik im Reiten. Diese Prinzipien sollten seine weitere Karriere prägen.
Ein besonderes Highlight dieser Zeit war ein Ausflug zu einer großen Reitveranstaltung, bei der Helmut die besten Reiter seiner Zeit beobachten konnte. Diese Erfahrungen erweiterten seinen Horizont und weckten seinen Ehrgeiz, selbst ein erstklassiger Reiter zu werden. Herbert Aust erkannte dieses Potenzial und förderte Helmut gezielt. Er empfahl ihm auch, weitere Lehrer aufzusuchen, um seinen Stil und seine Technik zu verfeinern, was ihn später noch zu Neindorff bringen sollte.
4 Erinnerungen an die Spanische Hofreitschule
Ein besonderer, wenn auch kurzer Moment in Helmuts Leben war sein Besuch der Spanischen Hofreitschule in Wien. Noch als sehr junger Mann hatte er die Gelegenheit, wenige Tage in Wien unter der Anleitung von Meistern wie Podhajsky zu lernen. Diese Erfahrung hinterließ einen bleibenden Eindruck und vertiefte sein Verständnis für die klassische Reitkunst. Helmut erinnert sich daran, wie er die Eleganz und Perfektion der Lipizzaner bewunderte und viele Techniken in sein eigenes Training übernahm.
Durch diese Erlebnisse sammelte Helmut nicht nur technisches Wissen, sondern auch eine tiefe Wertschätzung für die Kultur und Geschichte des Reitens. Die Kombination aus Tradition und Innovation, die er in Wien erlebte, inspirierte ihn, seinen eigenen Weg zu gehen und das Beste aus beiden Welten zu vereinen.
5 Egon von Neindorff – Die hohe Schule des Reitens
Ein weiterer Meilenstein in Helmuts Leben war seine Ausbildung bei Egon von Neindorff in Karlsruhe. Dieser weltberühmte Reitmeister leitete eine Einrichtung, die für ihre exzellente Dressurausbildung bekannt war. Er war anspruchsvoll und verlangte hohe Leistungen sowohl im Sattel als auch in der Theorie. Neindorff brachte Helmut eine höhere Schule des Reitens nahe, einschließlich Lektionen wie Piaffe, Passage und auch Levade.
Neindorff war ein strenger Lehrer mit preußischer Disziplin. Er legte großen Wert auf korrekte Kleidung, Anstand und Respekt. Helmut erinnert sich, dass er einmal die Gelegenheit hatte, die Privatpferde von Neindorff zu reiten, ein Privileg, das nur wenigen zuteilwurde. Diese Erfahrung bestärkte Helmut in seinem Wunsch, Pferde so auszubilden, dass sie sowohl physisch als auch psychisch im Gleichgewicht sind.
Die Ausbildung bei Neindorff war nicht nur technisch anspruchsvoll, sondern auch persönlich fordernd. Helmut musste lernen, mit der intensiven Kritik und den hohen Erwartungen umzugehen. Doch gerade diese Herausforderungen machten ihn zu dem Reiter und Lehrer, der er heute ist. Er erkannte, wie wichtig es ist, sich stetig weiterzuentwickeln und nie mit dem Lernen aufzuhören.
6 Jahrzehnte unterwegs in Europa
Helmut Stütz war über Jahrzehnte hinweg auf Dressur- und Springturnieren in ganz Europa erfolgreich unterwegs. Seine Teilnahme an unzähligen Wettbewerben brachte ihm nicht nur Trophäen, sondern auch eine Fülle von Erfahrungen, Anekdoten und nicht selten dramatischen Momenten. Diese Zeit formte Helmut nicht nur als Reiter, sondern auch als Mensch, der den Herausforderungen des internationalen Wettkampfs mit Ausdauer und Anmut begegnete.
7 Zusammenarbeit mit Fritz Tiedemann
Nach seiner Zeit bei Neindorff arbeitete Helmut mit Fritz Tiedemann zusammen, einem der erfolgreichsten Springreiter seiner Zeit. Tiedemann, der nach seiner aktiven Karriere im Pferdehandel tätig war, suchte einen Dressurreiter, um seine Springpferde auszubilden. Helmut nahm diese Herausforderung an und profitierte enorm von Tiedemanns Wissen und Erfahrung. Tiedemann brachte ihm bei, wie wichtig eine solide Dressurausbildung für Springpferde ist, um sie rittiger und williger zu machen.
Tiedemanns pragmatische Herangehensweise beeindruckte Helmut. Er lernte, wie man Pferde effizient und zielgerichtet trainiert, ohne sie zu überfordern. Diese Zeit war für Helmut nicht nur eine berufliche, sondern auch eine persönliche Bereicherung. Die gemeinsamen Stunden auf dem Trainingsplatz und die Gespräche über die Philosophie des Reitens hinterließen einen bleibenden Eindruck.
8 Rolf Bartels – Der Meister des Hochspringens
Ein weiterer wichtiger Lehrer war Rolf Bartels, ein Spezialist für das Hochspringen. Helmut beschreibt ihn als einen außergewöhnlichen Stilisten, der Pferde mit Ruhe und Präzision trainierte. Bartels zeigte ihm, wie man Pferde auf Höchstleistungen vorbereitet, ohne sie zu überfordern. Diese Zusammenarbeit prägte Helmuts Verständnis für die Anforderungen an Springpferde.
Die gemeinsame Arbeit mit Bartels war intensiv und lehrreich. Helmut verbrachte viele Stunden damit, die Technik des Hochspringens zu perfektionieren. Er erkannte, dass Erfolg im Springreiten nicht nur von der Kraft und Geschicklichkeit des Pferdes, sondern auch von der Geduld und dem Einfühlungsvermögen des Reiters abhängt. Bartels‘ unorthodoxe Methoden und sein Fokus auf die Feinabstimmung zwischen Reiter und Pferd beeindruckten Helmut nachhaltig.
9 Eigene Entwicklungen im Longieren
Helmut entwickelte im Laufe der Jahre eine besondere Leidenschaft für das Longieren. Er erkannte, dass diese Methode nicht nur die Pferde körperlich stärkte, sondern auch ihre innere Ruhe und Losgelassenheit förderte. Helmut sagt: „Wer sein Pferd nur von oben kennt, kennt nur die Hälfte seines Pferdes.“ Durch das Longieren konnte er die Bewegungen der Pferde besser beobachten und gezielt korrigieren. Diese Technik wurde zu einem zentralen Bestandteil seiner Arbeit und seines Unterrichts.
Seine besondere Art des Longieren ermöglichte Helmut, eine tiefere Verbindung zu den Pferden aufzubauen. Er konnte ihre individuellen Bedürfnisse und Grenzen besser verstehen und sein Training entsprechend anpassen. Diese, von ihm enorm verfeinerte Methode half ihm nicht nur, die Pferde physisch zu stärken, sondern auch ihre mentale Ausgeglichenheit zu fördern; besonders auch sie gesund und alt werden zu lassen. Helmut sah das Longieren als eine Kunst, die ebenso viel Hingabe und Technik erfordert wie das Reiten selbst. Pferde gingen bei ihm an der Longe in höchstem Ausdruck, Aufrichtung und Versammlung.
10 Wissen weitergeben: Helmuts Vermächtnis
Das Vermächtnis von Helmut Stütz reicht weit über seine eigenen Erfolge hinaus. Zeit seines Lebens widmete er sich der Ausbildung von Reiterinnen und Reitern sowie der Verbesserung der Pferde, die in seine Obhut kamen. Mit unermüdlichem Einsatz und einer unvergleichlichen Geduld vermittelte er sein Wissen an unzählige Schüler, die von seiner Erfahrung und seinem Feingefühl profitierten. Helmut war bekannt für seine Fähigkeit, selbst die schwierigsten Pferde zu verstehen und zu fördern. Viele seiner Schüler tragen seine Lehren weiter und setzen die Tradition fort, die er aufgebaut hat.
11 Ein Nachruf auf einen großartigen Pferdemenschen
Helmut Stütz war weit mehr als ein Reiter oder Ausbilder. Er war ein Mensch, der sein Leben dem Verstehen, der Förderung und der Zusammenarbeit mit Pferden gewidmet hat. Seine unerschöpfliche Leidenschaft, sein tiefes Wissen und seine unermüdliche Hingabe prägten viele die ihn kannten. Mit seinem Tod verliert die Reiterwelt einen außergewöhnlichen Pferdemenschen, dessen Vermächtnis jedoch in den Herzen und den Lehren derer weiterlebt, die das Glück hatten, von ihm zu lernen. Helmut Stütz wird unvergessen bleiben – als Vorbild, Lehrer, Reiter, Trainer, Züchter und Freund.